Die Verheißung steht in einem aufweisbaren Widerspruch zur geschichtlichen Wirklichkeit. Sie hat ihre Entsprechung noch nicht gefunden und zieht darum den Geist ins Zukünftige, nämlich in gehorsame und schöpferische Erwartung, und stellt ihn in den Widerstand gegen die vorliegende Wirklichkeit, die die Wahrheit nicht in sich hat. Sie provoziert so eine besondere Seinsinkongruenz im hoffenden und vertrauenden Bewusstsein. Sie verklärt nicht die Wirklichkeit im Geiste, sondern ist auf ihre Veränderung aus. Darum entbindet sie nicht Kräfte der Anpassung, sondern setzt seinskritische Kräfte frei. Sie transzendiert die Wirklichkeit nicht in ein unwirkliches Reich der Träume, sondern nach vorne in die Zukunft einer neuen Wirklichkeit. Die Wirklichkeitsdeckung der Verheißung liegt in der Glaubwürdigkeit und der Treue dessen, der sie gibt. Die Hoffnung erhofft, wo sie sich an die Verheißungen hält, vom Kommen Gottes auch seine erlösende und zurechtbringende Herrschaft in allen Dingen.
Jürgen Moltmann
aus: Theologie der Hoffnung